Montag, 29. Juni 2009

Literatur

(Bild von Flickr)


Vom Ende der Welt...

Gestern war ich am Ende der Welt, um genau zu sein, am Ende von Haruki Murakamis Welt. Sein 1985 erschienener Roman "Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt" ist eine Geschichte über zwei Welten.

In der einen herrscht ein äusserst agressiver und mit allen Mitteln geführter Krieg um die Sicherung und den Raub von Daten. In der anderen ist alles friedlich und ruhig. Doch diese Eintracht bezahlen die Bewohner mit ihrer Seele. Ein 35-jähriger, namenloser Ich-Erzähler steht im Mittelpunkt der Geschichte. Zusammen mit der schönen, dicken, 17-Jährigen Enkelin eines genialen Wissenschaftlers versucht er, in einem ausichtslos erscheinenden Wettrennen, herauszufinden, wieso er die Schlüsselperson für beide Welten zu sein scheint.

Ich bin ja, so scheints, die allerletzte, die auf den Murakami-Fanzug aufgesprungen ist (jaja, in Bern laufen die Uhren wirklich langsamer). Doch besser spät als nie. Die trockene Art des Japaners, sich auszudrücken und Gedanken zu verfolgen, lässt einen immer wieder auflachen - trotz des beängstigenden Themas. Und dann steht man am Ende da, ein zerlesenes Buch in der Hand, das Lächeln noch in den Mundwinkeln und gleichzeitig das befremdene Gefühl, man sei irgendwie ein bisschen verrutscht in dieser, seiner eigenen Welt, als sei das eigenen Leben ein unbekanntes Hotelzimmer.

Auszug:

"Du hast eben gesagt, wenn wir nichts unternähmen, ginge die Welt unter. Was meinst du damit? Warum geht die Welt unter, und wie?"
"Das weiss ich nicht. Mein Grossvater hat das gesagt. Wenn ihm jetzt etwas zustiesse, dann geht die Welt unter. Mein Grossvater sagt so etwas nicht aus Spass. Wenn er sagt, die Welt geht unter, dann geht sie auch unter. Die Welt geht unter!"
"Das verstehe ich nicht", sagte ich. "Was soll das denn heissen, die Welt geht unter?" Hat er das wirklich so gesagt? Oder hat er es anders formuliert, zum Beispiel: Die Welt ist am Ende? Oder: Mit der Welt ist es aus und vorbei oder so?"
"Nein. Die Welt geht unter, hat er gesagt."
Ich trommelte wieder gegen meine Schneidezähne. Die Welt geht unter.
"Und dieser... Weltuntergang hat irgendwie mit mir zu tun, nicht wahr?"
"Ja. Du wärst der Schlüssel, sagt mein Grossvater.[...]"

---

Mit jedem Schritt verstärkte sich das Gefühl, dass mein Körper nicht eigentlich zu mir gehörte. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich mich nicht sehen konnte. Nicht die Hand vor Augen war zu sehen.
Sich selbst nicht sehen zu können, ist merkwürdig. Nach einer Weile beginnt man sich zu fragen, ob der Körper nicht bloss eine hypothetische Erscheinung ist. Ich empfand wohl Schmerz, wenn ich mir den Kopf an der Decke stiess, und auch die Bauchverletzung tat pausenlos weh. Und unter den Füssen spürte ich die Erde. Doch das waren blosse Schmerzen, das war mein blosser Tastsinn, es waren sozusagen nur aufgrund der Hypothese "Körper" entstandene Begriffe. Deshalb mochte es durchaus sein, dass der Körper schon abgestorben war und nur die Begriffe weiterfunktionierten. So wie ein beinamputierter Mann auch nach der Operation noch Jucken in den Zehen des abgeschnittenen Beines empfindet.
Mehrmals war ich in Versuchung, die Taschenlampe auf mich selber zu richten, um sicherzugehen, dass mein Körper noch existierte, verzichtete aber schliesslich darauf aus Furcht, ich könnte das Mädchen aus den Augen verlieren. Dein Körper ist voll und ganz da, Mann, sagte ich mir. Wenn er abgestorben wäre, wenn nur noch das, was ich wohl als meine Seele zu bezeichnen hätte, da wäre, müsste es mir besser gehen. Wo bliebe denn, wenn die Seele auf ewig Bauchverletzungen, Magengeschwüre und Hämorrhoiden mit sich herumschleppen müsste, die Erlösung? Wenn die Seele sich vom nicht vom Körper löste, welche Daseinsberechtigung hätte sie dann noch?

Keine Kommentare: